Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

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Su Corvu
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Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von Su Corvu »

"Widerspruch"!

Immer wieder wird das Bildungsniveau sardischer junger Leute kritisiert, zumeist mit Verweis auf angeblich geringe Fremdsprachenkenntnisse. Meine persönlichen Erfahrungen im Umfeld unseres 250-Seelen-Dorfes zeigen ein anderes Bild:
Viele junge Menschen, insbesondere Frauen, haben qualifizierte Arbeit gefunden: Fünf als Ärztinnen, eine von ihnen, Onkologin, ist die jüngste Chefärztin Italiens an einer renommierten römischen Klinik. Andere haben sich als Ingenieure oder Architekten niedergelassen, eine junge Frau hat mit EU-Förderung einen Bio-Hof gegründet, eine andere führt einen Agriturismo bei San Teodoro. Einige sind ausgewandert und haben gute Stellen in London, Australien oder in Deutschland, darunter sind zwei Universitätsdozentinnen geworden.
Im übrigen wird die Bedeutung schulischer Fremdsprachenkenntnisse überschätzt, wer motiviert ist, lernt eine fremde Sprache auch auf andere Weise.

Diese beruflichen Erfolge haben sich die Jugendlichen hart erarbeiten müssen: Lange tägliche Wege zur weiterführenden Schule (hier: Olbia oder Siniscola), Universitätsausbildung nur in Cagliari, Sassari oder auf dem Festland, verbunden mit hohen Kosten für das Elternhaus.
Ich kenne im Dorf nur zwei junge Männer ohne feste Arbeit, die im "Hotel Mama" leben und Stammgäste in der Bar sind.
Salamaghe
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Re: Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von Salamaghe »

Ich muss Günther Recht geben. Es ist hier wie in anderen Länder auch, wer was erreichen möchte der schafft es auch. Die Kinder hier müssen nach der Media nach Olbia oder Siniscola. Sie haben bis Mittags Schule oder auch länger, müssen noch den langen Schulweg in Kauf nehmen und müssen dann noch Hausaufgaben machen oder für Arbeiten lernen. Ich kenne die Tochter eines Freundes nur lernend. Ständig lernt sie oder muss irgendwas für die Schule machen . Sie muss Samstags in die Schule und Sonntag wird wieder gelernt.
Vor den Sommerferien müssen Prüfungen absolviert werden und in den Ferien bekommen sie genügend Aufgaben mit.
Von einem Bekannten haben wir jetzt gehört das seine Tochter auf dem Festland studiert und jetzt durch das Erasmus Programm ein halbes Jahr nach Deutschland geht um die Sprache zu lernen.
Die Ausbildung ist hier gut und alles was danach kommt liegt jeweils in den Händen von einem selbst.
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CiaoSardegna
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Re: Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von CiaoSardegna »

Ich möchte dir ja nicht zu nahe treten, @SuCorvu / Günther, aber die Statistik aus einem 200 Seelen Dorf ist wohl kaum repräsentativ für die ganze Insel. Es ist ja schön, wenn ihr da so einen tollen Trend habt, aber was ich so aus anderen Ecken Sardiniens höre, das hört sich dann schon etwas schlechter an.

Die Besitzerin des Hotels in Bari Sardo, wo wir seit Jahren immer wieder hinfahren, klagt uns bei jedem Besuch ihr Leid, dass sie nicht genügend Personal mit Sprachkenntnissen findet, sowohl für den Service als auch für die Rezeption. Und sie haben eben sehr viele deutsche, österreichische und schweizer Gäste. Frazosen sind sowieso komplett verloren auf Sardinien, da fast niemand Französisch spricht (mit Ausnahme der Strandverkäufer aus dem Senegal). Englisch lernen ja wohl alle in der Schule, mögen es aber auch nur ungern sprechen.

Das alles hat überhaupt nichts mit "ungebildet" zu tun. Ich denke, es ist oft mangelndes Interesse am Fremdsprachenlernen. Bei uns in D spricht ja auch nicht jeder eine Fremdsprache und viele wollen auch gar keine erlernen, weil es ihnen vielleicht schwerfällt und sie vielleicht auch nicht sprachbegabt sind. Dann versucht man so etwas natürlich bestmöglich zu umgehen oder zu vermeiden.
Per aspera ad astra.
Salamaghe
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Re: Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von Salamaghe »

Was mir auffällt ist das so vieles hier kritisiert wird . Das Bildungssystem ist schlecht, das Gesundheitssystem ist schlecht, die Leute sind faul, hier wird nicht gut gearbeitet usw. Alles das höre ich hier.
Das Bildungssystem wie auch und gerade das Gesundheitssystem in Deutschland ist mehr als marode.
Junge Leute aus dem Ruhrgebiet, wo vieles den Bach runter geht wollen auch nicht weg um woanders in Deutschland, also nicht mals ins Ausland, zu arbeiten.
Ich kenne einige aus der Famimlie meines Mannes oder auch Freunde, die außerhalb von Sardinien arbeiten.
Ich behaupte nicht das die Situation hier perfekt ist, es gibt viele Probleme. Andererseits muss man auch die Mentalität, die Traditionen sehen. Alles das muss man Berücksichtigen und man muss hier erstmal leben und arbeiten um sich ein richtiges Urteil bilden zu können und zu dürfen.
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Luna sarda
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Re: Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von Luna sarda »

Also ich lebe überwiegend hier und habe in den über 10 Jahren genügend Erfahrungen sammeln können. Auch mehrere Aufenthalte pro Jahr über mehrere Wochen können nicht unbedingt dafür herhalten, um sich wirklich ein Bild zu machen. In diesem Zusammenhang kommt es auch sehr auf die Region an. Ich kann mich leider nur den Ausführungen von 'Ciao Sardegna' anschließen - deckt sich mit meinen Erfahrungen im Südosten.
Ausnahmen gibt's überall - beide Töchter von Bekannten (er Sarde, sie aus Bayern) studieren; eine in Sassari, um Kinderärztin zu werden, die andere beginnt im Herbst ein Studium in Cagliari.
L'abitudine è la più brutta delle malattie. Ti fa accettare di tutto, anche di non essere felice!
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Re: Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von Pastorella »

Bevor hier in der Schule englisch eingeführt wurde war französisch Pflicht an der Schule, ich kenne mehr Sarden die französisch sprechen als englisch.
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Su Corvu
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Re: Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von Su Corvu »

CiaoSardegna hat geschrieben: 16.02.2020, 12:50 Ich möchte dir ja nicht zu nahe treten, @SuCorvu / Günther, aber die Statistik aus einem 200 Seelen Dorf ist wohl kaum repräsentativ für die ganze Insel.


Mir ging es überhaupt nicht um statistische Daten, schon gar nicht um verallgemeinerungsfähige, sondern um konkrete Fallgeschichten aus meinem persönlichen Umfeld. Diese Beispiele stehen im Kontrast zur verbreiteten Tendenz, bei jeder Gelegenheit Sardinien und die Sarden schlecht zu reden.
Susanna
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Re: Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von Susanna »

Von den jungen SardInnen bekomme ich sehr wohl mit, dass sie Englisch sprechen und auch weiterführende Kurse besuchen, genauso Französisch. Mit dem Deutschen ist es schon etwas schwieriger, weil die Kurse sehr teuer sind und die Sprache auch mindestens so schwer wie das Italienische.
Vielleicht liegt es bei der Hotelinhaberin in Bari Sardo an der Bezahlung, dass sie innerhalb der Saison zu wenig Leute findet ;)
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Re: Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von Giro »

Ich kann mir kein wirkliches Urteil bilden.
Meine Italienisch Kenntnisse sind leider auch noch sehr bescheiden.
Aber egal wo ich bisher auf der Insel war, ist es mir schon sehr oft vorgekommen,
das man mir in Deutsch geantwortet hat.
Mit Englisch bin ich bisher nicht so weit gekommen
Faule und fleißige gibt es wohl überall auf der Welt.
Im Falle der Handwerker würde ich aber ganz klar auf Deutschland setzen.
Ich glaube nicht das die Sarden fauler sind.
Deutsche Firmen arbeiten einfach fachlich besser und sind meist auch besser organisiert.
Salamaghe
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Re: Sardische SchülerInnen "ungebildet"?

Beitrag von Salamaghe »

Man sollte nicht alles verallgemeinern. Es gibt überall gute und schlechte Handwerker, Ärzte, Lehrer usw.
Ich finde in dem reichen Deutschland gibt es soviele Probleme, sodass man erstmal darauf schauen sollte bevor man andere Länder und Sitten kritisiert.
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