Leben auf dem Land, eine Lebenswelt 'zwischen den Orten', alle erreichbar in 10, 15 oder 20 Minuten - in Richtung Norden trennen uns wenige Kilometer von den fast zusammen gewachsenen Orten Muravera, San Vito und Villaputzu, in Richtung Süden ebenso nur einige Kilometer bis Castiadas oder zur Touristenhochburg Costa Rei (die wir meist meiden).
Irgendwo dazwischen im Nirgendwo , steht unser Häuschen inmitten herrlicher Natur und viel landwirtschaftlichem Gelände drum herum, erbaut vor knapp 20 Jahren im sardischen Stil des Sarrabus (in phönizischen Zeiten 'Sarcapus' - später 'Is Arrabus'), in den Ausläufern der 500 - 700 m hohen Bergen (oder eher Hügeln aus Sicht von Bayern☺) und mit Blick aufs Meer.
Nachdem nur auf entsprechend großen Grundstücken hier überhaupt gebaut werden durfte (erst 5000 qm, dann 1 ha, später 3 ha), tritt uns kein Nachbar auf die Füße oder vermasselt uns die Aussicht auf die Berge oder das Meer.
Dem am meisten frequentierten Ort aufgrund guter Einkaufsmöglichkeiten werde ich mich also zuerst widmen: MURAVERA - hier gibt es Supermärkte, Gemüsehändler, Bäckereien, Fischgeschäfte und eigentlich zu viele Metzgereien (auch Chinesen, die alles verkaufen, was manche braucht oder auch nicht); außerdem Läden mit Eisenwaren, Gartenzubehör- und Werkzeug,Blumen m Souvenirs, Haushaltswaren, Fahrrädern, Mode und Schuhen, Tabak, Telefon und PC. Schreiner, Metallbauer, Reifenhändler, Elektriker, Gärtnereien oder Friseure fehlen ebensowenig wie Tankstellen und Autowaschanlagen, ein (sehr langsam und umständlich arbeitendes) Postamt und seit kurzem die Nuova Posta, die privat ist und mit 2 jungen Leuten sehr effizient arbeitet).
Apotheken und Drogerien, Ärzte und Zahnärzte sowie ein kleines Krankenhaus, das San Marcellino (das leider in den letzten Jahren ziemlich 'abgespeckt' wurde) waren damals ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Ortes, wo wir leben wollten - an einem ganzjährig belebten Ort, der alles bietet, was man braucht. Im Krankenhaus haben wir übrigens bisher beide nur gute Erfahrungen gemacht!
Was mir gleich anfangs aufgefallen ist: es gibt eine erstaunlich große Anzahl an Immobilienmaklern, was vielleicht mit den vielen Ferienhäusern in dieser Region zusammenhängt. Entsprechend gibt es auch mehrere Banken, die ihre Filialen hier haben. Selbstverständlich mangelt es auch nicht an Bars, Pizzerien und Restaurants.
Domus di Janas und Gigantengräber sind sowohl in der Umgebung von San Vito als auch in der gesamten Region überall zu entdecken, mal mehr, mal weniger bekannt oder mit Hinweisen versehen. Auch mehrere verfallene Nuraghen oder die Türme, die alle der Verteidigung gegen Invasoren aus der Zeit der Sarazenen dienten, haben wir schon vor Jahren besucht:
Torre dei Dieci Cavalli bei Muravera (in einer Art Festspiel wurde dort jahrelang eindrucksvoll demonstriert, wie die Reiter die Sarazenen durch das Tor hinaus gejagt hatten). Das Fest fiel leider dem Geldmangel zum Opfer.
Torre delle Saline (oder Torre Salinas) bei Colostrai - so genannt nach den antiken Salinen zur Salzgewinnung im Stagno. Es ist angeblich der einzige Turm mit einer quadratischen Struktur an den sardischen Küsten
Torre Montiferru nahe dem Capo Ferrato (unglaublicher Ausblick von dort oben auf das gesamte Territorium von Muravera, die kilometerlangen Strände von San Giovanni, Colostrai, Feraxi, Porto S'Illxi , Cala su Figu, wo wir gerne ankern und beim Schwimmen das smaragdgrün schimmernde, klare Wasser genießen, und auf den kleinen Porto Pirastu ).
Muravera hat etwa 5300 Einwohner, entstand im Mittelalter mit dem Namen 'Murera' und liegt an einem Einschnitt des Meeres, wo sich das Wasser des Flumendosa in einem weitverzweigten Delta ins Meer ergießt. In den trockenen Sommern ist davon, zumindest oberirdisch, kaum etwas zu sehen, obwohl der Flumendosa der längste Fluss Sardiniens ist. Zur Gemeinde Muravera gehört auch die Costa Rei, die etwa zur gleichen Zeit wie die Costa Smeralda touristisch erschlossen wurde.
Neben dem in der ganzen Region bekannten Zitrusfest (Sagra degli Agrumi - im April) finden vor allem im Sommer noch andere Feste statt: Konzerte auf der Piazza Europa, der Carnevale d'Estate mit den Mammuthones und den Issihadores, die 'cortes apertes' oder das Patronin des Hi. Nikolaus von Bari. Beeindruckt hat mich immer wieder die Palmprozession auf der via Roma durch den ganzen Ort am Palmsonnntag - mehr als die Osternachtsfeier, die ich mit 4 - 5 Stunden extrem lang fand!
Im Centro Storico von Muravera gibt es eine alte Kerzenzieherei und in der via Sarrabus am Kanal eine Weberei für sardische Textilien und Teppiche. Von der Existenz de,r 'Università Terza Età', die ähnlich einer Volkshochschule Kurse für Erwachsene in allen möglichen Bereichen, auch Fremdsprachen, anbietet, erfuhr ich erst kürzlich, nachdem man eine Muttersprachlerin als Dozentin für einen Deurschkurs suchte. Eine gute Bekannte fragte mich, ob ich das nicht übernehmen könnte. In diesem Jahr sollte es auch Kurse für Sardisch (Campidanese) geben, was mich sehr interessiert hätte, da ich nur ein paar Brocken beherrsche.
Was die administrativen Einrichtungen der Gemeinde von Muravera angeht, kann ich Su Corvu nur beipflichten: ineffizient, langsam, teils sogar unfreundlich. Besonders hervorgetan im negativen Sinne hat sich das Ufficio Technico, das nicht nur über alle vorher genannten Attribute verfügt, sondern auch noch überbürokratisch, fehlerhaft und schlampig arbeitet. Das Einzige, das wirklich funktioniert, ist die Müllabfuhr , die in privater Hand ist (daß Rechnungen erst nach Jahren gestellt werden, liegt wiederum an der Gemeinde). Allerdings ist die Müllabfuhr extrem teuer und das System dafür 'krank'.
Leider ist auch Neid und Missgunst ein Thema, und ich bin froh, nicht direkt in einem Ort zu wohnen. Mit unseren Nachbarn (alles Sarden, außer unserm Freund und Arzt, der aus dem Piemont stammt) haben wir ein recht gutes, mit manchen ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis; sogar mit den beiden 'berüchtigten' Ziegenhirten, die mit vielen der Nachbarn im Dauerstreit liegen. Da werden dann Zicklein, Lämmer und Schweinchen am Spieß gegrillt, und die gegenseitigen Einladungen sind immer ein Fest. Auch Tauschgeschäfte gibt es bei uns: Olivenöl oder Weizenbier gegen Traktor mit Anhänger leihen, Mirto oder Wein gegen eine Lieferung Pferdemist oder selbst gemachten Ricotta, etc.
Wir haben und hatten nie das Problem, als Deutsche irgendwie 'dumm angemacht' zu werden - im Gegenteil, das Kompliment 'tu sei già una vera Sarda' hat mir gefallen
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